Interview von Dr. Simone Kraft mit Fritz Stier

Warum eigentlich Video? Welche Möglichkeiten bietet Dir die Arbeit mit Video?
Irgendwie ist Video für mich zwischen Film, Theater, Fotografie, eventuell sogar Malerei angesiedelt. Diese Schnittstellen
faszinieren mich schon immer sehr. Vielleicht haben deshalb viele meiner Arbeiten einen szenischen, inszenierten Charakter, andererseits sind sie oft sehr langsam, fast bis zur Bewegungslosigkeit. Eigentlich sind meine Arbeiten wie Bilder, die sich langsam verändern. Das heißt der Faktor Zeit ist eine wichtige Größe für mich. Deshalb verwende ich auch viel Zeitlupen oder szenische Endlosloops.
Bei der Arbeit con_torso habe ich z.B. eine Highspeed-Kamera eingesetzt, die die Bewegungen einer Kontorsionskünstlerin
(Schlangenfrau) nahezu ins Unendliche dehnt.

Das bedeutet aber auch, dass ein Betrachter sehr viel Geduld mitbringen muss, wenn er sich auf Deine Arbeiten einlassen will?
Ja das stimmt. Die Zeit gibt mir aber auch die Möglichkeit, wie bei einer Choreographie, meine Arbeit zu strukturieren und
den Betrachter durch die Arbeit zu führen.

Und welche Themen interessieren Dich am meisten?
Besonders in meinen Videoinstallationen zeige ich meine Protagonist/innen (Modelle) häufig in Situationen, die bei uns
allen in einer Art kollektiven Gedächtnis verankert sind. So z.B. wenn Menschen sich in schwindender Höhe kaum
noch halten können (In Between), nackt an den Füßen aufgehängt baumeln (Rotes Rauschen) oder langsam durch den
Raum schweben (Floating). Es sind quasi Szenerien, die zwischen Traum und Wirklichkeit angesiedelt sind. Auch wenn
die meisten von uns die Situationen selbst nie erlebt haben,konturieren sie trotzdem unser Weltbild. Dabei arbeite ich in
der Regel nicht einfach nur dokumentarisch, sondern interveniere zusätzlich inhaltlich oder formal.

Wie sehen diese Interventionen aus?
Einen wichtigen Aspekt habe ich schon genannt: Die Zeit. D.h. sehr oft dehne ich die Takes oder auch Pausen minutenlang
aus. Und wenn man denkt, das ist es eigentlich, kommt manchmal eine überaschende Wendung (Bodhi, Firebug). Ansonsten
projiziere ich auch gerne auf z.B. tiefschwarze Forexkartons, das ergibt meines Erachtens nach einen anderen Bildeindruck
und hebt das typisch cineastische Element bei Projektionen auf.

Soweit ich weiß, hast Du bereits sehr früh angefangen mit Video zu arbeiten, stimmt das?
Ja das ist wahr! In den frühen 80er Jahren leitete ich mit meiner damaligen Frau Antje Böttger, die auch Künstlerin ist,
einige Zeit einen Kunstraum in Mannheim. Das „ART NOW“. Das Ausstellungsprogramm bestand in erster Linie in Performance-
und Videokunst. Nebenbei gab es noch einen kleinen Bookshop mit Künstlerbüchern, Fanzines und Audiokassetten in kleinen Auflagen von Newcomerbands.

Da war es naheliegend, dass ich auch begann mit Video zu arbeiten. Das war damals nicht einfach, da die notwendigen
Geräte noch sehr teuer, bzw. schwierig auszuleihen waren.Meine erste Videoarbeit hieß „Cogito ergo sum“ und war noch
sehr performant. Die habe ich auf einem s/w-Halbzollspulenrecorder auf Audio-Magnetband aufgenommen, da richtige
Bänder zu kostspielig gewesen wären.

cogito ergo sum 1977


Damals habe ich dann mit ein paar Freunden das „Halbzollgebiet“ gegründet. Zusammen haben wir dann einige interessante
Arbeiten gemacht. Später, als die Punkbewegung von England hierher schwabte, habe ich dann viel mit Sound in
Verbindung mit Video experimentiert. Sehr bald habe ich dann auch den Videocongress, eines bundesweite Vereinigung von Videokünstler/innen, mit ins Leben gerufen. Da waren Leute, wie Axel Brand aus Köln, Walter Gramming aus Berlin, 235 aus Düsseldorf, Fun+Art München,Zero One aus der Schweiz usw. dabei.

1982 warst Du glaube ich der erste der hier im Raum auch ein Kunstvideofestival auf die Beine gestellt hat?
Ja das stimmt. Das war im Mai 1982. Wir hatten einen der allerersten Videoprojektoren, der noch auf eine gebogene Spezialleinwand projiziert hat. Damals war alles vertreten, was Rang und Namen hatte. Von Nam June Paik bis Joseph Beuys und
Marcel Odenbach bis Yoko Ono.

Hast Du nicht auch die ersten Punkkonzerte veranstaltet?
Die ersten waren es bestimmt nicht, aber zumindest hier in der Rhein-Neckar-Region war Punk etwas Neues. Es gab auch
enge Verbindungen zum „Ratinger Hof“ in Düsseldorf oderzum „SO36“ in Berlin. Damals gab es eine enge Verbindung
zwischen Bild. Kunst und Punkmusik. Einige Bands haben wir ohne polizeiliche Anmeldung spontan unter Brücken im Hafengebiet
präsentiert. Nicht selten um Mitternacht. Schnell aufbauen, spielen und dann nichts weg, bevor die Polizei kam.
Später habe ich dann, diesmal offiziell, „Abenteuer unter Tage“ in der Borelligrotte, einer großen Fußgängerunterführung in
Mannheim, veranstaltet. Mit Kiev Stingl, der Plan, Schwefel und v.a. Das ging drei Tage rund um die Uhr mit vielen Performances,
Ausstellungen und Konzerten.

Abenteuer unter Tage


Du hast Deine eigene künstlerische Arbeit aber weiter verfolgt und warst auch Mitglied verschiedener Künstlergruppen?
Ja eine Zeit lang war ich Mitglied beim „Neoist Research Project“. Das war eine europaweite Vereinigung, die dem Neodadaismus
sehr nahe stand und mit denen ich verschiedene Aktionen gemacht habe.
Später dann hat mich Christoph Ries, ein Schweizer Installationskünstler in ein Projekt geholt, dass Künstler/innen aus
unterschiedlichen Sparten vereint hat. Außer Christoph war da noch James Saunders, Choreograph und Tänzer, Maria de
Alvear, Komponistin neuer Musik, Martin Schilken, Maler und eben ich als Videokünstler. Wir nannten uns „Tafelrunde“ und
hatten tolle Planungen und Ideen, u.a. die Kreation eines gemeinsamen Parfums, ein unterirdisches Haus usw. Das Kultusministerium Nord-Rhein-Westfalen hat uns eine Menge Geld gegeben und wollten allerdings so eine Art spartenübergreifendes Crossoverfestival. Wir wollten aber unsere Ideen verwirklichen.
Das Ende vom Lied war schließlich, dass wir alles Geld zurückgegeben haben. Dummerweise konnten wir allerdings
unsere Planungen dann auch nicht finanzieren.

Neuerdings arbeitest Du auch wieder mit Sound?
Ja! Allerdings sind die Arbeiten viel konzeptueller geworden und haben mehr einen installativen Charakter. Damit ähneln
auch mehr meinen Videoarbeiten.