Orginalartikel MEIER 08.08. (PDF)

Besuch beim Mannheimer Künstler Fritz Stier

Die Macht der Kunst

Fritz Stier leitet seit zehn Jahren den Kunstverein Viernheim. Doch viel länger ist er durch seine Aktionen als Künstler bekannt. MEIER-Autorin Eva Mayer geht auf eine Reise in die Vergangenheit, als ein Hauch von Anarchie durch Mannheim wehte.

Das erste Mal bin ich Fritz Stier begegnet, als mich meine Tante zu ihrem Malkurs mitnahm. Während sie unter seiner Anleitung Blumenstillieben aquarellierte, pinselte ich - damals vielleicht zehn Jahre alt - ein Apfelbäumchen. Etliche Jahre später stand ich zwischen Punks in einer Mischung aus Künstlerbuchladen, Galerie und Happeningraum in der Mannheimer Neckarstadt und trank Bier, während in unserer Mitte ein nackter Mann stundenlang unbeweglich in einer Zinkwanne voller Milch und Fleischklumpen ausharrte. Dass der Macher des "Art now" der gleiche Fritz Stier war, wurde mir erst viel später klar.

Ein Gespräch mit dem 57-Jährigen ist eine Reise in die Vergangenheit. Durch Mannheim wehte ein Hauch von Anarchie, Punk und New Wave, Kunst fand nicht nur in Museen und Galerien statt, sondern auch auf der Straße. Vieles von dem, was damals noch aufregend war, ist heute längst kommerzialisiert. Es ist auch die Geschichte von der unseligen Verbindung von Ideen und Geld, nie realisierten Aktionen und verständnislosen Bürokraten.und von einem, der nie resigniert hat und immer noch an die Macht der Kunst glaubt.

Heute leitet Fritz Stier den Kunstverein Viernheim, den er 1998 selbst gegründet hat. Doch von seinem Atelier in den Mannheimer Quadraten aus, das mit wenig Bildern, aber viel Technik ausgestattet ist, plant Stier immer wieder eigene künstlerische Projekte. Im nächsten Jahr will er mit etwa 15 Künstlerinnen w1d Künstlern eine Woche eingeschlossen arbeiten. Dafür sucht er zurzeit noch einen Ort. Per Video soll der "Kunstencounter" in den öffentlichen Raum übertragen werden. "Es geht nicht um die Herstellung käuflicher Objekte, sondern um Kunst als Experiment und Lebenshaltung", sagt Stier, während wir in seinem Atelier sitzen und Ausschnitte seiner Videoarbeit "Talkshow" langsam über die Bildschirme an seinem Arbeitsplatz wandern. Ein Satz, der viel mit seinem eigenen Leben zu tun hat.

Das Interesse für Kunst und Literatur verdankt Fritz Stier vor allem seinem Großvater. Der Professor für Theologie und Germanistik wälzte mit seinem Enkel Kunstkataloge und spielte ihm den "Faust" auf Schallplatte vor. Fasziniert war der theaterbegeisterte Fritz auch von seinem Onkel, dem bekannten Schauspieler und "enfant terrible" der Familie, Peter Mosbacher. 

"Schwierig" sei er als Jugendlicher gewesen: Nach dem frühen Tod seiner Mutter riss der 17-Jährige von daheim aus, schmiss die Schule und ging wenig später nach Berlin. Mit einer in nur einer einzigen Nacht erstellten Mappe schaffte Stier die Begabtenprüfung an der Hochschule für bildende Künste. Die Akademie sah er allerdings eher selten von innen: Stier interessierte sich mehr für "unsichtbares Theater" an öffentlchen Orten, lief mit bemaltem nacktem Oberkörper und voluminös auftoupierten Haaren durch Berlin. Bei einem eigentlich als nur als Kurzbesuch geplanten Aufenthalt in seiner Heimatstadt lernte er Karl Rödel kennen. Stier blieb, studierte an dessen Kunstschule weiter und arbeitete danach im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit als Kunst- und Gestaltungstherapeut.

Sein "Zimmeratelier" entwickelte sich Anfang der 80er Jahre zur Anlaufstelle für Performancekünstler aus dem ln- und Ausland. Stier selbst trat unter anderem in Amsterdam in einem Schaufenster auf, wo er über Lautsprecher Anweisungen der Passanten empfing - die Aktion endete, als er nackt hinter der Scheibe lag.

Für Fritz Stier ist Kunst eine Lebenshaltung.

Als ihm dort der Bookshop "Art Something" angeboten wurde, lehnte Stier zwar ab, nahm aber einen Teil der Künstlerbücher mit nach Mannheim und eröffnete das "Art Now". Die Galerie entwickelte sich schnell zum Szenetreffpunkt, zu dessen Gästen Uwe Ochsenknecht und die Ärzte gehörten. Unter den Künstlern finden sich heute die amenetlicher documenta-Teilnehmer. Fast wöchentlich fanden Happenings und Spontanaktionen statt, die zuletzt von einer Hundertschaft Polizisten aufgelöst wurden. Das darauf folgende Verbot, Getränke zu verkaufen, bedeutete das Aus für das "Art now". Ein Jahr lang betrieb Stier dann eine Travelling Art Gallery, die willkürlich aus dem Telefonbuch ausgewählten Personen in deren Wohnzimmer Kunst vorführte. Stier organisierte dann für die Stadt Festivals, darunter legendäre "Abenteuer unter Tage" in der Borelligrotte und das Performancefestival "Kunst in Aktion". Viele Aktionen wie eine Performance der Tanztruppe La Fura dels Baus an der Mannheimer Kurpfalzbrücke scheiterten jedoch an der Finanzierung - bei Beträgen, die heute lächerlich gering erscheinen: Gerade mal 4.000 Mark hätte damals ein Konzert der "Einstürzenden eubauten" gekostet. Auch in eine Neuauflage des "Ruhenden Verkehrs" von Wolf Vostell wollte man nicht investieren, realisiert wurden die "Beton Cadillacs" dann 1987 in Berlin.

Zu seinen aktuellen Kunstprojekten gehört die Videoarbeit "BODHI ": Zu sehen sind Personen mit geschlossenen Augen, auf deren Kopf eine Pistole zielt. Als nach Minuten ein Schuss fällt , lachen sie befreit auf. Es gehe um die Überwindung äußerer Gewalt durch innere Stärke, sagt Fritz Stier. Und ums Weitermachen.