DER UNBEUGSAME (zu Katalogveröffentlichung und -präsentation im Port25 Mannheim)

Das Flüchtige bretthart zwischen zwei Buchdeckeln. Irgendwie komisch, das. Schwer liegt der Band auf dem Tisch, eine Retrospektive in Bildern, mit Fritz Stiers eigenen Texten und solchen von Weggefährten und Freunden. Ein Buch wie ein Wetterleuchten, prall gefüllt mit Informationen und Erinnerungen. Am 3. Dezember wird im Port 25 eine Fritz-Stier-Ausstellung eröffnet. Den Katalog,der kürzlich vorstellt wurde, hätten wir also schon.Na endlich,möchte man sagen.

Nur, wo beginnen? Am besten und wie immer von vorne. Bei einem jungen Mannheimer, der seine Jugend nicht einfach nennt, mehrfach undnie erfolgreich von zu Hause ausgebüxt ist und trotzdem seinen Weg und in der noch jungen Gattung Performance seine Bestimmung gefunden hat. Ein Onkel, Peter Mosbacher, der Schauspieler und Enfant terrible der Familie, lenkte das Interesse des Neffen auf das Theater. Aber das war es dann doch nicht, es folgen ein Kunststudium in Berlin und ein weiteres in der Kunstschule Rödel in Mannheim, nach der Begegnung mit Beuys ist die Malerei abgehakt. 72 Jahre ist Fritz Stier jetzt. Man blättert sich durch 248 Seiten und über 40 Jahre Kunstpraxis, ist fasziniert und endet bei der (rhetorischen) Frage: Wer kann so einem heute noch was vormachen? 

Ab ins Arbeitslager

Die Anfänge: fast noch naiv. Spontane, nicht angekündigte und dokumentierte Aktionen irgendwo auf der Gasse, konnte auch mal nur ein Gitarrenspiel auf einem Mäuerchen sein.Selbstquälerisches Abarbeiten früher Verletzungen. Alles pur, die Reaktionen von Passanten 80er-Jahre-typisch vom Kopfschütteln bis zu „abins Arbeitslager“. Immer Stier selber in Aktion. Später performen andere. Bei der Buchpräsentation im Port 25 lief ein Zusammenschnitt von Videoarbeiten tonlos in Endlosschleife an derWand. Sah ein bisschen nach einer schönen Anarchie aus, die sich durchs Werk – bitte nicht maulen – wie ein roter Faden durchzuziehen scheint. Wobei die Anarchie solide erarbeitet ist; der Maschinenpark im Mannheimer Atelier spricht eine nüchterne Sprache. Fritz Stier nimmt, was er braucht (nebenbei: Das machen alle guten Künstler so). Bleibt nicht stehen, macht weiter, wenn das Thema ausgereizt ist. Als ob da immer Aufbruchwäre.

Immer unterwegs imLaboratorium, in dem er seine Gedanken fixiert, sich von anderen seine Gedanken vorspielen lässt wie einen Filter zwischen dem Gedachten und diesem Gedachten in der Wirklichkeit eines Tuns. Kunstproduktion als Crashtest? Es sieht so aus. Da hängen Mann und Frau nackt kopfüber am Seil, und drehen sich langsam. Andere werden kopfüber ins Wasser getaucht und wieder hochgezogen und wieder heruntergelassen. Zwei Gesichter, Mann und Frau, mit geschlossenen Augen träumend. Pistole an den Schläfen. Ewig lang tut sich nichts, dann fällt der Schuss und die beiden öffnen die Augen und lachen (wie) befreit. Zwei Königskinder auf getrennten Monitoren sehen sich an, wenden sich ab und sehen sich wieder an: Hero und Leander im 21. Jahrhundert.

Der Traum vom Fliegen

In jüngerer Zeit die Cutouts, bemalte Fotoausschnitte,mit denen Stier sich einen Teil der Malerei zurückerobert hat, gerne als simulierte Flugshowan der Wand. Der Traum vom Fliegen, immer wieder. Flüsternde Wände in der Kirche und zum Gleichschritt animierende Marschmusik im öffentlichen Raum. Stiers leicht spinnöse Nichtachtung von Jahreszahlen und Datierungen, woran ja noch was geändertwerden könnte.

Damit hat der Künstler Fritz Stier ein wichtiges Kapitel Kunstgeschichte geschrieben, auch wenn die großen Museen das noch nicht gemerkt haben. Mannheim ist sein Zentrum. „Fritz – A German Hero“ ist ein Buchkapitel großmäulig überschrieben, bezieht sich aber auf Videos für einSchauspiel von Peter-Paul Zahl, das 1988 im Schnawwl uraufgeführt und dann vergessen wurde. Dazu die unendliche Liste der Festivals, Teilnahmen, der mehr oder weniger kurzlebigen Künstlervereinigungen, von denen der von 1979 bis 1984 aktive Kunstraum "Art Now“ zur Mannheimer Legende wurde. Der kleine, aber feine Kunstverein Viernheim, dem Fritz Stier bis heute zunächst als Kurator, dann als künstlerischer Leiter verbunden ist. Das, was er mit anderen für die Mannheimer Kunstszene angestoßen und durchgesetzt hat (der Port25 gehört dazu) und das ist nur ein kleiner Teil der, nun ja, Einmischungen des unbeugsamen Künstlers und beharrlichen Bürgers Fritz Stier.

Geht es zu weit, wenn man feststellt, dass viele seiner Arbeiten etwas Ikonisches haben? Dass das,was erst einmal verstörend bis brutal aussieht, leise und beharrlich ist? Nie schnell, rasant schon gar nicht? Kein Video, keine Performance rast durch die Welt, die Zeitlupe hat das Sagen, und wer hier (als Betrachter) nicht standhält, ist schon verloren für Einsichten, die sich daraus ziehen lassen.